Samstag, 25. Februar 2012

Leseprobe: Hexensabbat von Brigitte Tholen





erscheint in Kürze als E-Book:









Leseprobe:

Hexensabbat

Laura schreckte hoch. Sonderbar- aus der Truhe vor ihrem Bett, schien ein leises Wimmern zu kommen.

Da ... wieder. Im gleichen Moment zog ein Duft von Rosen durch den Raum.
Laura näherte sich der Eichentruhe. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie den Riegel löste. Mühsam wuchtete sie den Deckel nach oben. Nichts! Die Truhe war leer, aber jetzt war es ein Geruch nach verfaultem Fleisch, der ihr in die Nase stieg und sich wie eine feuchte Hülle um ihren Körper legte. Angeekelt ließ sie den Deckel los. Krachend fiel er zurück.


Der Geruch nach Verwesung war so schlagartig verschwunden wie das Wimmern.
Erleichtert atmete sie aus und ging ans Fenster.
Erste Regentropfen zeichneten Streifenmuster an die Glasscheiben. Am Morgenhimmel wirbelten die Grautöne durcheinander, als wäre ein jähzorniger Maler dabei sein Werk zu zerstören.

Vor zwei Tagen war sie in Gieselburg angekommen. Erwartungsfroh, energiegeladen. Das riesige, gleichnamige Gemäuer lag auf einer Insel, die man innerhalb von 30Minuten umrunden konnte.
„Du wirst in einer Burg direkt am Meer wohnen“, hatte die Agentin ihr mitgeteilt. „Das Casting für die Theateraufführung "Hexensabbat" wird sich über eine Woche hinziehen“

Als Laura den Namen des Regisseurs hörte, freute sie sich. Virgil Grenzschläger und seine Frau Cordelia waren in der Theaterwelt bekannt. Werke wie„Montagsnebel“ und „Blutketten“ hatten ihnen viele Preise eingebracht.

Der dumpfe Ton einer Schiffssirene riss Laura aus ihren Gedanken. Sie befestigte die losen Strähnen ihres Haares, das im Licht des Kronleuchters wie kupfernes Metall glänzte und nahm das Manuskript hoch.
Nur einen Szenenabschnitt des Drehbuches hatte sie bekommen, beherrschte ihn bereits perfekt. Trotzdem rezitierte sie ihn erneut.
In dieser Rolle verwandelte sie sich in die verzweifelte Geliebte aus dem 16. Jahrhundert, die in einem Monolog die dunklen Kräfte ruft, um die Rivalin zu verfluchen.

Händeklatschen riss Laura aus ihrem Text. Selina, eine der elf weiteren Schauspielerinnen, lehnte an dem Pfosten der Kassettentür. Ihr rötliches Haar lag in sorgfältig gekämmten Wellen auf den Schultern. Die blauen Augen blitzten.
Entschuldigend hob sie beide Hände. „Du hast mein Klopfen nicht gehört.“
„Schon okay“, Laura winkte ab und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ist es so weit?“

Selina nickte lächelnd. „Die anderen sind bereits vollzählig versammelt.“
Gemeinsam stiegen sie die breite Treppe hinunter, die in den roten Salon führte.
Trotz des Pomps roch es überall nach Moder und Verfall. Vom Salon gingen zwei Türen ab. Auf einer stand: „Theatersaal“ und auf der anderen „Kaminzimmer“.
Ringsum verteilt auf Diwan, Sesseln und Fußboden, saßen junge Frauen vertieft in ihren Texten. Alle schlank, mit langem rotem Haar.

Laura und Selina ließen sich auf dem Teppichboden nieder, mit dem Rücken an die Wand gelehnt.
„Ich wollte, meine Eltern würden mich mehr unterstützen“, meinte Selina. Sie glauben Schauspielerei ist ein Sumpf von Drogen und Sex. Was sagt deine Familie zu unserem Beruf?“

Lauras Gesicht schien zu schrumpfen. „Mein Vater und meine Mutter sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ich war dabei, kann mich aber an nichts mehr erinnern. An gar nichts.“
Selina schauderte. „Wie alt warst du?“
„Ich war elf. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kam ich zu Pflegeeltern. Sie haben mir auch die Schauspielschule ermöglicht. Bisher hatte ich nur kleine Rollen und Werbeverträge.“

Selina antwortete nicht, sondern zeichnete gedankenverloren mit ihren Fingern Kreise auf den Boden.
Eine Weile hingen die beiden Mädchen ihren Gedanken nach.
Mit einem Mal spürte Laura einen leichten Druck auf ihrer Schulter, als berühre sie eine kalte Hand. Rasch blickte sie hoch ...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen