Samstag, 14. Januar 2012

Leseprobe: "Im Zeichen der Gruft"


„Geheimnis … ein schreckliches Geheimnis“, stammelte Ita.
Rasch beugte sich Judinta zu der Verletzten, nahm einige der Tücher und legte sie zusammengerollt unter deren Kopf. Mit dem letzten Flickenlappen wischte sie behutsam das Blut vom Gesicht der Frau. „Was meinst du damit?“
„Am Grab … “, flüsterte die Todkranke bebend.
„Geister!?“
Die Verletzte wimmerte. Mit brüchiger Stimme flüsterte sie: „Ich hätte ihn nie verraten.“ Milchiger Speichel lief wie Webfäden aus ihren Mundwinkeln.
„Wen?“
Ita schien sie nicht zu hören. Ihr Gesicht war leichenblass, nur das Blut, das aus ihrer Kopfwunde quoll, brachte Farbe hinein. Unruhig bewegte sie ihren Kopf und griff immer wieder mit der Hand in die Falten ihres Kleides. Judinta eilte zum Schrank, riss weiße Flicklappen aus Leinen heraus. Dann holte sie ein Ei und trennte Eiweiß vom Dotter. Eines der Tücher tauchte sie in die klebrige Flüssigkeit. Sie kniete sich erneut neben Ita und legte das präparierte Tuch auf die klaffende Wunde. Es würde wenigstens die Blutung stoppen. Während sie vorsichtig zu Werke ging, schlug ihr Herz so laut und schwer in ihren Ohren, wie die Hämmer der Münzenmacher. Ein Arzt musste her. „Aelfric! Komm her!“, schrie sie in ihrer Not.

Wieder setzte Ita zu sprechen an.
„Schwer … Rabe … war es.“
Die Frau hustete und ihre Augen waren in Panik weit geöffnet. „Ich will nicht sterben. Nicht bis …“
„Sei ganz ruhig. Ich hole den Medicus.“
Die Frau des Münzmachers hob leicht den Kopf, vor Schmerzen schrie sie laut auf, ihre Hand krallte sich in Judintas Oberarm. „Bitte bleib, ich muss …“ Ihre goldgesprenkelten Augäpfel rollten nach oben und unten. Dann sank sie mit einem Stöhnen in Ohnmacht.
Als stünde die Welt einen Augenblick still, saß Judinta wie erstarrt da. Sie gab sich einen Ruck, ihre Finger tasteten über ihren Leib und für Sekunden schloss sie die Augen. Dann stand sie auf, eilte zu ihrem Mann.
„Aelfric!“, schrie sie. Er schlief noch immer, die Arme weit über den Tisch gestreckt. Wütend stellte sie sich hinter ihn und zog seinen Kopf an den Haaren hoch. „Wach auf, du Säufer!“
Endlich bewegte er sich, sah sie aus blutunterlaufenen Augen erbost an. „Was zum Teufel ist los?“
„Hör auf zu fluchen.“ Judinta bekreuzigte sich hastig. „Hilf mir.“ …

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